Ü-Zeichen contra CE-Kennzeichnung

Autor: Heinz Georg Hiekmann
Datum: 09.07.2014

Ü-Zeichen contra CE-Kennzeichnung

Rechtsanwalt Martin Kuschel (Architekten-, Bau- und Sachverständigenrecht) berichtet auf seiner Homepage über das erste Gerichtsurteil zu der Frage, ob neben dem CE-Kennzeichen noch eine zusätzliche allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (Ü-Zeichen) erforderlich ist (www.RA-Kuschel.eu) Problemstellung - Bei Bauprodukten, für die es nach der Bauproduktenrichtlinie (Richtlinie 89/106/EWG vom 21.12.1988) europäisch harmonisierte Normen gibt, fordert das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) zusätzlich zu der europarechtlich vorgegebenen CE-Kennzeichnung eine nationale Zulassung, in der Regel eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, die vom DIBt erteilt und vom Hersteller oder Importeur durch das Ü-Zeichen dokumentiert wird. Nach Auffassung des DIBt dürfen Bauprodukte ohne diese nationale Zulassung in Deutschland nicht eingebaut/verbaut werden. Für Parkett und Holzfußböden hatte ich in einem Rechtsgutachten von Februar 2011 dargelegt, dass die Forderung nach einer zusätzlichen nationalen Zulassung einerseits gegen europäisches Recht (Bauproduktenrichtlinie) verstößt, andererseits auch im nationalen deutschen Recht (Bauproduktengesetz und Bauordnungen der 16 Bundesländer) keine Grundlage findet. In einem kürzlich veröffentlichten Urteil hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Rechtsauffassung bestätigt, dass neben der CE-Kennzeichnung aufgrund einer europäisch harmonisierten Norm nicht noch zusätzlich das Ü-Zeichen als Zeichen der Übereinstimmung mit einer nationalen bauaufsichtlichen Zulassung verlangt werden kann. Mit Urteil vom 10.12.2012 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen festgestellt, dass nach der Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG harmonisierte Bauprodukte ohne nationale bauaufsichtliche Zulassung nach § 21 BauO NRW verwendet werden dürfen. Unmittelbar betrifft das Urteil zwar nur Dämmstoffe aus Mineralwolle (nach der europäisch harmonisierten Norm DIN EN 13162) und nur die Verwendung in Nordrhein-Westfalen. Im Ergebnis ist dieses Urteil jedoch in gleicher Weise anwendbar auf sämtliche Bauprodukte, die nach der Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG harmonisiert sind und entsprechend der Richtlinie rechtmäßig mit CE-Kennzeichen versehen sind, und ihre Verwendung im ganzen Bundesgebiet. Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht aus, dass Bauprodukte nach § 20 Abs. 1 S.1 BauO NRW für die Errichtung, Änderung und Instandhaltung baulicher Anlagen verwendet werden dürfen, wenn sie für den Verwendungszweck nach den Vorschriften des Bauproduktengesetzes in den Verkehr gebracht und gehandelt werden dürfen, insbesondere die Konformitätskenn-zeichnung der Europäischen Gemeinschaft (CE-Kennzeichnung) tragen und dieses Zeichen die nach Abs. 7 Nummer 1 festgelegten Klassen und Leistungsstufen ausweist. Eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung komme daher für unionsrechtskonform auf dem Markt bereitgestellte Bauprodukte nicht in Betracht. Selbst die Tatsache, dass in der harmonisierten Norm Regelungen (im vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschiedenen Fall Regelungen zum Glimmverhalten) fehlen, führe nicht dazu, dass das nationale Zulassungsverfahren wegen der Regelungslücke zur Anwendung gelangt und in diesem über die Bestimmungen der harmonisierten Norm hinaus Anforderungen an das Bauprodukt gestellt werden dürften. Weitere (nationale) Anforderungen an ein Bauprodukt seien unzulässig, wenn sie nicht in der harmonisierten Norm bereits vorgesehen sind. Der Weg, auf der Grundlage des allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungsverfahrens weitergehende Anforderungen an harmonisierte Bauprodukten zu stellen, sei „systemfremd“ und würde „zu einer unzulässigen Verschiebung der Kompetenzen zwischen Europäische Gemeinschaft und Mitgliedstaat führen“. Bei dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen handelt es sich um das – soweit ersichtlich – erste Urteil eines deutschen Gerichts zur Zulässigkeit nationaler Anforderungen über die Anforderungen der europäisch harmonisierten Normen hinaus. Da es sich bei der vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschiedenen Frage um eine in der Rechtsprechung bislang noch nicht geklärte Rechtsfrage handelt, hat das Verwaltungsgericht die Berufung zugelassen. Mit seiner Rechtsauffassung bestätigt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nicht nur die in meinem Rechtsgutachten zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung zu den parallel gelagerten Fragen bei Parkett und Holzfußböden, sondern auch die Auffassung der Europäischen Kommission, die Deutschland aufgefordert hat, Handelshemmnisse für Bauprodukte zu beseitigen und seine für Bauprodukte geltenden Vorschriften und Verfahren (konkret: die Bau-regellisten) zu ändern, mit denen derzeit Zusatzanforderungen an Produkte aufgestellt werden, die von harmonisierten europäischen Normen erfasst sind und eine CE-Kennzeichnung tragen. Solche Zusatzanforderungen verstießen gegen die Vorschriften des europäischen Binnenmarktes. (Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 16.06.2011, vergleiche hierzu auch meine vorangegangene Kurzinformation, abrufbar unter www.RA-Kuschel.eu). Auch wenn sich das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im entschiedenen Fall nur auf die Bauordnung Nordrhein-Westfalen stützt, gelten die Ausführungen des Verwaltungsgerichts auch für die Geltungsbereiche aller weiteren Landesbauordnungen in Deutschland. Das Recht der Zulassung von Bauprodukten ist in allen deutschen Landesbauordnungen identisch geregelt, um die Europäische Bauproduktenrichtlinie umzusetzen.